Wahre Stärken erkennen

Wenn ich Klienten nach ihren Stärken frage, erhalte ich oft Schulterzucken oder sehr konkrete Hinweise auf ihre Schwächen.

2/3 der Menschen können nicht auf Anhieb ihre Stärken benennen, fand Dr. Alex Linley heraus. Er hat umfangreiche Forschung über menschliche Stärken und deren Anwendung im beruflichen und privaten Leben betrieben. Und nur 20 Prozent der MitarbeiterInnen haben gemäss Gallup-Studien das Gefühl, täglich ihre Stärken einsetzen zu können.

Warum fällt es uns so schwer, die eigenen Stärken zu erkennen und zu benennen und wieso haben wir kein Stärkenbewusstssein?

Aus der Stärkenarbeit mit meinen Klienten habe ich folgende Erklärungsansätze:

  • Abwerten:
    Wir kommen oft gar nicht auf die Idee, dass unsere Stärken etwas Besonderes sind, dabei setzen wir sie ständig unbewusst und automatisch ein – wenn das beruflich nicht möglich ist, dann kommen sie privat zum Einsatz
  • Betriebsblindheit:
    Wir können uns kein objektives Bild von uns selbst machen und nicht einschätzen, wie wir wirken
  • Fokus auf Schwächen:
    Es fällt uns leichter, unser Defizit zu benennen und das Verbesserungspotenzial zu sehen

In Organisationen, deren Personalentwicklung und Führungskräfte einen Defizit-orientierte Ansatz verfolgen, wird diese Haltung weiter bestärkt:

Schwächen werden relativ schnell erkannt und zur Leistungssteigerung werden Trainings und Coachings verabreicht, um diese auszubügeln. Dahinter liegt eine Überzeugung, die bereits in unserem Schulsystem verankert ist, nämlich die Förderung und die Entwicklungsmassnahmen beim sichtbaren Defizit anzusetzen. Ziel ist, die Person in einer Kompetenz zu stärken, die womöglich überhaupt nichts mit ihren natürlichen Stärken zu tun hat. Das kann auf den ersten Blick ganz gut funktionieren, gelingt jedoch unter Umständen nur mit viel Energieeinsatz.

Falls die Person keine echte Freude an dieser angelernten Kompetenz hat, sie jedoch aufgrund ihrer Rolle täglich einsetzen muss, wird sie vielleicht unauffälliger in diesem Defizit. Im besten Fall wird sie mittelmässig gut, und mit viel Disziplin könnte sie sogar sehr gut werden. Der regelmässige Einsatz dieser antrainierten Fähigkeit wird ihr jedoch Energie rauben und damit ihre Leistungsfähigkeit negativ beeinflussen.

Man nennt dies das Konzept der Anpassung: Definiere ein Ziel, lerne die dazu notwendigen Kompetenzen, um dorthin zu kommen. Das fängt bereits in der Schule an: Um eine Note in einem bestimmten Fach zu erreichen, muss gebüffelt werden.

Einen anderen Ansatz verfolge ich im Coaching, nämlich das Konzept der Passung, das ich jeder Führungskraft nahe lege:

Identifiziere die wahren Stärken deiner Mitarbeitenden – jene, die sie mit Leidenschaft einsetzen. Überlege gemeinsam mit der Person, wie ihr Job so gestaltet werden kann, dass sie diese Stärken optimal nutzen und weiter ausbauen kann.

➡️ Wenn du deine vorhandenen, natürlichen Stärken weitgehend in deinem Beruf einbringen und weiter entwickeln kannst, wirkt sich das sowohl positiv auf deine authentische Exzellenz als auch auf dein Wohlbefinden aus.

➡️ Für dich als Führungskraft lohnt es sich, die wahren Stärken deiner Mitarbeitenden zu erkennen und sie entsprechend einzusetzen, denn das gibt ihnen Energie und sie müssen sich nicht verbiegen.

Dein Profit als Führungskraft der Stärken-orientierten Führung:

  • du erntest intrinsisch motivierte, begeisterte und performante Mitarbeitende
  • du musst dich nicht mehr an den Defiziten deiner Leute abplagen
  • du steigerst die Arbeitszufriedenheit und damit das Commitment
  • sinkende Absenzen und geringere Fluktuationsrate
  • der Ansatz stärkt die Beziehung zu deinen Mitarbeitenden

Was ist eine Stärke?

In der Positiven Psychologie spricht man von einer Stärke, wenn sie folgende Merkmale hat:

  • Sie wird in allen grossen Kulturen dieser Welt akzeptiert
  • Sie bringt dir einen tendenziellen Vorteil
  • Sie ist stabil in deinem Wesen/Charakter verankert
  • Es energetisiert dich, wenn du sie auslebst

Für die Praxis nutze ich für eine erste Stärkenanalyse die 24-VIA-Stärken, sie erfüllen diese Kriterien, sind wissenschaftlich validiert und die Uni Zürich bietet dafür einen kostenlosen Online-Test an. In meinem Blog Macht Charakter glücklich? erfährst du mehr zum Thema Charakterstärken.

Abgrenzung

Es gibt zahlreiche Begrifflichkeiten, die im Zusammenhang mit dem Thema Stärken verwendet werden. In meiner Beratung differenziere diese Begriffe, basierend auf dem PERMA-Lead®-Ansatz wie folgt:

TALENT„ich habe es“

Ein Talent ist eine genetisch bedingte Begabung, ein Potential

  • kann bereits in einer frühen Lebensphase sichtbar werden
  • kann auch für immer unentdeckt bleiben und in unbewussten Potentialen in dir schlummern
  • kann nicht durch Fleiss erreicht werden
  • muss nicht zwangsläufig grossartig werden

KOMPETENZ – „ich kann es“

Eine Kompetenz ist etwas, das man lernen oder trainieren kann

  • etwas, das man gut abrufen und einsetzen kann
  • können heisst nicht wollen
  • kann auch ohne Talent entwickelt werden

STÄRKE – „ich will es“

Eine Stärke ist eine Leidenschaft, hier drin steckt Herzblut

  • etwas, was aus dir herausdrängt
  • falls beruflich nicht möglich, dann wirst du deine Stärke privat ausleben
  • es gibt dir Energie, wenn du sie ausleben kannst (FLOW-Modell, s. Darstellung)
  • es kostet dich Energie, wenn du sie in Situationen zurückhalten musst, wo sie unangebracht wär
  • es kann auch passieren, dass du mehr davon machst als gut ist

Flow-Modell von Csikzentmihályi

Authentische Exzellenz – „ich kann es und will es“

Die Kombination aus einer Stärke und Kompetenz führt zu einer Fähigkeit, die man sowohl gut als auch gerne einsetzt.

Stärkenanalyse

In einer 5-stufigen Stärkenanalyse erarbeite ich mit meinen Klienten ein aussagekräftiges Stärkenprofil, welches folgende Fragen beantwortet:

Realisierte Stärken (Authentische Exzellenz)
Worin bist du gut und was gibt dir Energie?
➡️ optimal einsetzen statt maximal

Unrealisierte Stärken
Worin bist du gut und was brächte dir Energie, wenn du es mehr tätest?
➡️ erkennen, üben, ausbauen

Erlerntes Verhalten
Worin bist du gut, aber es kostet dich Kraft?
➡️ moderieren, reduzieren

Schwächen
Worin bist du nicht besonders gut und was zieht dir Energie?
➡️ minimieren

Stärkencheck

Ob es sich bei einer Stärke um eine echte (Herzens-)Stärke handelt, kannst du mit den Fragen des 4-fach Stärkenchecks1 überprüfen:

  1. Es ist etwas, das aus mir förmlich herausdrängt, das mir Energie gibt, wenn ich es ausleben kann. Das bin wirklich ich, wenn ich das mache.
  2. Es fehlt mir etwas, wenn ich es nicht ausleben kann.
  3. Es kostet mich Energie, wenn ich es zurückhalten muss, weil es beispielsweise in einer bestimmten Situation einfach nicht passt.
  4. Es kommt auch vor, dass ich mehr davon mache als gut ist.

Bist du dir bewusst, welche Stärken dich einzigartig machen? Kennst du die Stärken deiner Mitarbeitenden? Hast du auch schon mal versucht herauszufinden, welche unbewussten Potentiale in dir schlummern?

Gerne unterstütze ich dich dabei, die Stärken deiner Mitarbeitenden zu erkennen und ihre Jobs so zu gestalten, dass sie sich optimal einbringen können. Als Teamworkshop oder inidviduell. Nebenbei wirst auch du dabei ein Bewusstsein deiner eigenen Stärken entwickeln.

  1. Quelle: M. Ebner. (2024). Von Stärken, Kompetenzen und authentischer Exzellenz. In Positive Leadership. Facultas Verlag. ↩︎
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